
Theater muss sein, Kunst muss sein, Kultur muss sein. Das vergangene Jahr hat den gesamten kulturellen Sektor international gebeutelt, malträtiert und “herausgefordert”, wie man Neudeutsch im zynischen Euphemismus unserer Leistungsgesellschaft so sagt. Wenn Geschäfte schließen, ist das tragisch, vor allem wegen der vielen, vielen persönlichen und finanziellen Krisen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn sämtliche Bereiche des kulturellen Lebens gezwungen sind, über Monate zu schließen, ist das ungleich tragischer für die Kulturschaffenden und eine nachhaltige Tragödie für die Gesellschaft. Ich sehe ein, dass die Gesundheit bedrohende Ausnahmesituationen wie die, in der wir uns befanden-befinden, besondere Maßnahmen erfordern, von jeder/jedem Einzelnen Mitwirken und Geduld verlangen. Ich sehe nicht ein, dass diese Ausnahmesituationen das Aus für Institutionen bedeuten müssen, die das Herzstück der Gesellschaft sind.
Einer der international prächtigsten Theatersammlungen droht die Schließung: das Victoria & Albert Museum in London beherbergt ein für die Forschung, die Performance und Theater-Kunst und die kulturelle Bildung bedeutendes Theater-Department. Im Kontext von Neustrukturierungen des Hauses soll die gesamte Abteilung eliminiert, Archivarinnen und Archivare, Kuratorinnen und Kuratoren samt ihrer Erfahrung und Expertise nach Hause geschickt werden. Covid ist das Argument, zu wenig Besucher, zu wenig Umsatz, also Wegstrukturieren als Lösung …
Nun könnte man meinen: ‘was geht uns eine Theater-Sammlung in London an; nie gehört, nie gesehen, braucht man das?’ – Viel geht uns dieser Fall an, und: ja, das braucht man. Die Schließung geht uns an, weil die Bewahrung materiellen und immateriellen kulturellen Erbes zentral ist für die kulturelle Bildung und das kulturelle Gedächtnis eines jeden Landes: Theater-Sammlungen beherbergen und pflegen oft Jahrhunderte alte Schriftstücke, Skizzen, Modelle, Kostüme, die von Geschichte und historischem Wandel, transkulturellen Begegnungen zeugen: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende, Schüler, (Film-)Regisseure, Modedesigner und viele andere konsultieren die Sammlungen und sind auf die Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort angewiesen; und sie geht uns an, weil sie kein Einzelfall ist. Die Schließung einer solch umfangreichen und wertvollen Einrichtung in Zeiten wie diesen, in denen Kunst und Kultur in einer anhaltenden Krise sind und systematisch kaputt gespart werden, ist ein verheerendes Signal.

Die Internationale Gesellschaft für Bibliotheken, Archive und Sammlungen der darstellenden Künste (SIBMAS), deren joint president ich bin, hat vergangene Woche eine Petition gegen die Schließung gestartet. Innerhalb einer Woche wurden über 13000 Stimmen gesammelt. So viele Stimmen stimmen mich hoffnungsvoll, weil sie von einem Zusammenhalt zeugen, den wir dringend gebrauchen können in dieser gegenwärtigen Welt. Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, und wir haben ein Recht mitzureden. Weil Kultur uns alle angeht. Weil Theater sein muss; Kunst sein muss; Kultur sein muss.
Zur Petition geht’s hier.
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