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Plasticfantastic? (Fri)Days for Future im US-Alltag

Baum Wäsche

Gerade habe ich Wäsche aufgehängt. Im Garten. „Na und, wen kümmert’s? Ein Sack Reis in China…“, werdet Ihr jetzt denken. Ich gebe zu, diese Meldung ist relativ unspektakulär. Dass ich Wäsche aufgehängt habe, ist mir aber eine Meldung wert, weil ich es in einem Land tue, in dem im Grunde niemand Wäsche zum Trocknen in den Garten hängt. Nicht mal bei 30 Grad, so wie jetzt, heute, hier in Florida. Als der Freund, der uns derzeit im Sunshine State beherbergt, uns den Waschraum zeigte, war es für ihn selbstverständlich, uns den Wäschetrockner zu erklären. „Super, danke. Aber den werden wir hier in Florida wohl nicht brauchen, es ist ja immer so warm“, kommentierten wir – und schauten in ein erstauntes Gesicht, das uns verriet, dass er uns für ein klein bisschen ‚bonkers‘ hielt. Eine Wäscheleine gibt es nicht im Haus, die Wäsche hängt jetzt über Liegestühlen und auf Bügeln in den Bäumen. (Es hat übrigens nur das Verfassen dieser ersten Zeilen gebraucht, da waren die leichten Textilien schon schranktrocken). Es ist heiß, der Wind bläst. 365 Tage im Jahr. Aber die Floridianer bevorzugen einen Wäschetrockner, der die Arbeit nicht in unter 1,5 / 2 Stunden schafft und volle Lotte heiße Luft produziert; dabei gibt es draußen in Hülle und Fülle Fön for free …

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Plasticfantastic? Typisches Regal für Milchprodukte in amerikanischen Supermärkten. (Quelle: NeOnBRAND)

„America, the land of the free, they say“ singt Morrissey in America is not the world . „…and of opportunities..“ Aber Energiesparen ist nicht so das big Thema hier. Auf den Straßen sieht man einen Pick Up, Range Rover, und ein SUV nach dem anderen – besetzt zumeist von nur einer Person. Gestern ging ich zu Fuß zum Supermarkt. Wie, noch ein Sack Reis in China? Nein, wahrlich eine Meldung wert. Denn auf den 1500 Metern dorthin traf ich nur zwei Kinder auf ihren BMX-Rädern. Niemand sonst ohne fahrbaren Untersatz unterwegs. Niemand, der hier freiwillig geht. Das verstehe ich angesichts der Hitze. Die aber kann nicht der einzige Grund sein, weshalb nicht mehr Bewohner zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind, es kaum öffentlichen Personennahverkehr gibt (eine weitere Erklärung lieferte übrigens die New York Times hier). Dass ich einen Fußgängerweg benutzen konnte, ließ mich ja schon dankbar werden. Denn Fußgängerwege haben Seltenheitswert. Falls es hierzulande überhaupt welche gibt, hören sie oft im Nichts auf, einfach so. Umweltbewusster Fortbewegung liegen im Wortsinne Steine im Weg, – wenn man nicht gerade in einer Metropole mit Bus und U-Bahn lebt.

Auch die USA und Kanada begingen zwischen dem 20. und 27. September die Weltklima-Woche, den Global Climate Strike . So sehr ich hier auch nach Aktionen, Initiativen oder Tropfen auf den heißen Steinen suchte, die nach Klimaschutz  aussahen – nichts zu sehen, weit und breit kein Anzeichen. Im Gegenteil. Plastik all over, beim Essengehen, beim Einkaufen; in Bezug aufs Energiesparen: Klimaanlagen auf Hochtouren versus Wäschetrockner trotz Sonnenwärme; eiskalte Mega-Kühlschränke, kaum Recycling, Spritpreise billig wie sonstwas. Beim Abendessen vergangenen Freitag kamen mir fast die Tränen. Wir fuhren (natürlich mit dem Auto) zu einem „Restaurant“: Jede Gabel, jeder Becher, jeder Teller aus Plastik. An einem Friday for future empfand ich das als nochmal so schlimm wie ohnehin schon; gerade erst hatte ich mit meinen Freundinnen zu Hause über ihre Aktionen in den Gemeinden und an den Schulen ihrer Kinder gechattet. Mein transatlantischer Beitrag war beschämend. Jetzt könnte man sagen, ich könne ja auch zu Hause essen, also im Feriendomizil. Mache ich auch. Oft sogar. Aber vor dem Gang zum Herd muss ich mich durch Plastikberge wühlen: Gemüse in Plastik, mehrfach gewickelt und in aufwändig hergestellte so genannte „Container“ verpackt. Es schmeckt zwar nicht nach Plastik. Aber nach Gemüse auch nicht so recht. Einen Farmers‘ Markt haben sie hier nicht. Papierverpackungen, Glasflaschen? Sehr, sehr selten. Verzichtet man beim Einkaufen auf das Eintüten losen Gemüses (ja, das gibt es zum Glück doch auch!), steht garantiert an der Kasse ein hilfsbereiter Mitarbeiter, der ungefragt alles in Tüten packt. Immer schön doppelt getütet, die Tüten, damit sie den Einkauf auch halten. Sage ich dann „No plastic bag, please“ und stecke alles in den mitgebrachten Beutel, ernte ich einen irritierten Blick. Manchmal aber auch begleitet von einem „Thank you, I appreciate“; dann freue ich mich immer, dass da doch ein Bewusstsein ist. (Auch wenn 2018 einige Bundesstaaten explizit das Plastiktütenverbot verboten. Ja, Ihr habt richtig gelesen).

DWO-WI-Plastiktueten-USA

Ich weiß, dass es auch viele Umweltaktivisten in den USA gibt oder zumindest umweltbewusste Mitmenschen, die ein Auge auf unsere ökologische Gegenwart und Zukunft werfen und durch ihr Handeln zu einem größeren Bewusstwerden beitragen. Den Handel und die Hersteller zum Handeln bewegen. Kleine Schritte gehen, weil viele kleine Schritte auch mobil machen können. In Deutschland haben wir angefangen, Strohhalme aus Plastik durch solche aus Papier zu ersetzen. Mir fallen wenig Gelegenheiten ein, zu denen ich überhaupt einen Strohhalm verwende. Aber sei’s drum, ich verstehe die Botschaft: Es sind die kleinen Dinge. Zahnbürsten aus Plastik haben Geschwister aus Bambusholz bekommen, für die Plastiktüten im Laden muss man seit einem guten Jahr zahlen, seitdem hat sich der Gebrauch drastisch verringert. Ein Plastiktütenverbotsverbot verbietet sich jenseits des Ozeans. Gut so. Im kulturellen Vergleich kommt mir das allerdings vor wie eine Lachnummer. Was ist mein Strohhalm gegenüber einer Plastik-Gallone Orangensaft, der genauso gut in einer Mehrwegflasche angeboten werden könnte? Mehrweg gibt es hier aber nicht. Kuchen, Kekse, Brot? Wrapped in plastic. Ich bin hier nur zu Gast, und auch nicht das erste Mal in Amerika unterwegs. In Deutschland versuche ich so wenig wie möglich in Plastik Verpacktes zu kaufen oder aus Plastik Hergestelltes zu besitzen. Das ist schon nicht leicht. Aber hier ist es fast unmöglich.

Mein Umweltbeitrag muss hier anders ausfallen. Jetzt will ich künftig zum Essen außer Haus mein Besteck mitnehmen. Gelegentlich gehe ich zu Fuß zum Einkaufen. Während ich hier bin, trenne ich den Müll. Eine einzige Box gibt es hier für „Recycling“: Glas, Papier, Plastik: alles rein, was nicht Restmüll ist. Kaum einer aber trennt im Sunshine State. „Ist eh nur Geldmacherei“, sagt unser Gastgeber. (Trennt aber mit uns solidarisch, seit wir hier sind, danke dafür, bro :-)). Eigentlich Verantwortliche, die wahren Klimasünder, seien andere Branchen, ganz vorn‘ dabei, auf den ersten Plätzen: Construction Business, amerikanisches Militär, Landwirtschaft, Automobilindustrie. Strohhalm aus Papier, Plastiktütenverzicht, Jute statt Plastik? Ein fast mitleidiges Kichern. Alles Augenwischerei. Eine Art Feel Good-App für kleine Lichter. Wir Einzelne? Könnten ohnehin nichts tun, you understand?  – „America is not the world“. Aber auf der Rangliste der größten Umweltsünder belegt es, neben Saudi-Arabien, den ersten Platz. Das Prickeln einer Coladose braut im Kern weltumspannende Umwelt-Explosion. Es brodelt…Heißer Stein, steter Tropfen … Fragen.

Frau Sonne hat die Wäsche getrocknet. Ich befreie die Bäume von ihrem textilen Schmuck. Kleine Schritte. Day by day. Nicht nur Freitags.

2 thoughts on “Plasticfantastic? (Fri)Days for Future im US-Alltag

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